Klassenkämpfe in Frankreich 1789-1870

Die Natur hat jedem Menschen ein gleiches Recht auf den Genuss aller Güter gegeben.

Gracchus Babeuf (1760 – 1797), Frühsozialist und Gründer der Gesellschaft der Gleichen

„Versailles schlemmt, Paris hungert“ mit diesem Schlachtruf ziehen am 5. Oktober 1789 etwa 6.000 vorwiegend aus dem Arbeiterviertel Saint-Antoine stammende Frauen zum königlichen Schloss nach Versailles. Sie fordern König Ludwig XVI. auf, sich unter die Kontrolle des Volkes nach Paris zu begeben. [1]

Le Fermier brûlé ou la famille pauvre (Der verbrannte Bauer oder die arme Familie) von François Philippe Charpentier (1734-1817). [2]

Ausgelöst durch die schmarotzerhafte Lebensweise von circa 200.000 Menschen (2 %) der französischen Bevölkerung im Besitz der politischen Macht (König, Adel und Kirche), stand das feudale System Frankreichs ab 1774 vor dem permanenten Staatsbankrott. Die Krise führte zu Aufständen kleiner städtischer Ladenbesitzer*innen, Handwerker*innen und Bäuerinnen und Bauern im Mehlkrieg und erlebte im Juli 1789 aufgrund von Missernten gestiegener Brotpreise ihren Höhepunkt.

Am 17. Juni 1789 nutzte das im vorrevolutionären Frankreich reich gewordene Großbürgertum und der aufgeklärte Adel die antifeudale Stimmung im Land zur Ausrufung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung, in der sie die Mehrheit erringen konnten. Arbeiter*innen und Landbevölkerung blieben aufgrund des steuerabhängigen Zensuswahlrechts weiterhin politisch ausgeschlossen.

Die Republik wurde ausgerufen. Die konstitutionelle Verfassung von 1791 zementierte die errungenen bürgerlichen Besitz- und Machtverhältnisse, Adel und Kirche verloren durch Abschaffung der Feudallasten ihre Privilegien, König Ludwig XVI. 1793 gar seinen Kopf. Menschen- und Bürgerrechte wurden erstmals in eine Verfassung aufgenommen und zum Vorbild für das aufstrebende Bürgertum in allen europäischen Ländern. Abgesichert wurde die Machtergreifung der französischen Bourgeoisie durch die Revolutionskriege ab 1792, abgelöst durch die napoleonischen Kriege ab 1799 auf gesamteuropäischer Ebene.

Restauration und Julirevolution

Nach der Niederlage Napoleons hievte der Wiener Kongress ab 1815 eine konstitutionelle Bourbonenmonarchie unter Ludwig XVIII. wieder in ihre alte Machtposition von 1791. Sie sah sich einem liberalem Bürgertum und mit der beginnenden Industrialisierung einem wachsendem, verarmten Proletariat gegenüber. Als Nachfolger Karl X. 1830 versuchte, das Parlament aufzulösen, den Wahlzensus nach oben zu setzen und die Pressefreiheit weiter einzuschränken, erhob sich das liberal-bonapartistisch gesinnte Bürgertum. In den Juliaufständen (27.- 29. Juli 1830) zwangen Handwerker*innen, Arbeiter*innen und Studenten Karl X. zur Abdankung. Nach seiner Flucht nach England wurden die Unruhen der proletarischen Unterschicht in Paris durch das liberale Großbürgertum um Thiers und Guizot brutal niedergeschlagen und der als Bürgerkönig bezeichnete Louis Phillipe I. Eingesetzt.

Der Liberale Alphonse de Lamartine (Bildmitte, mit erhobenem Arm) verwehrt am 25. Februar 1848 Sozialrevolutionären mit der roten Fahne das Eindringen ins Hôtel de Ville (Stadthaus) in Paris. [3]

1848/49

Louis Phillipe konnte die europäische Wirtschaftskrise von 1847 nicht im Sinne des französischen Kapitals lösen und verweigerte bürgerliche Wahlreformen. Die sozialen Forderungen des Proletariats waren seit 1789 unbeantwortet. In der Februarrevolution 1848 stürzten beiden Klassen ein letztes Mal gemeinsam die Monarchie. Die daraufhin in Paris gewählte erste Kommune-Regierung aus Großbourgeoisie, Liberalen und Sozialisten konnte ebenfalls die Widersprüche zwischen den Klassen nicht ausgleichen. Aus dem blutig niedergeschlagenen proletarischen Juniaufstand 1848 „worin die erste große Schlacht geliefert wurde zwischen den beiden Klassen, welche die moderne Gesellschaft spalten“, so Karl Marx, ging wiederum das Bürgertum siegreich hervor. Die französische Bourgeoisie stieg unter der sich anschließenden Herrschaft Napoleons III., die mit seiner Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 endete, zur politisch und ökonomisch herrschenden Kraft auf.

Marie: Bonjour, ich heiße Marie. Ich lebe mit Mama, Papa und meinem großen Bruder Matthis in Belleville. Das ist ein Stadtteil von Paris. Gemeinsam mit anderen verteidigen Matthis und Papa eine der vielen Barrikaden in unserem Viertel. Ich bin grade auf dem Weg zu ihnen.
Laurent: Ich bin Laurent. Mein bester Freund ist Matthis. Im Krieg habe ich meine Eltern verloren aber hier in Belleville fühle ich mich nicht einsam.
Ich mag dieses Stadtviertel sehr. Zwar sind die meisten Leute hier bitterarm aber wir helfen uns gegenseitig.